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Celia Kaufmann, 2007 | Luzern, LU

 

Im Spannungsfeld zwischen Universalismus und Kulturrelativismus untersucht die Arbeit die Vorstellungen junger Hindu-Frauen in Trivandrum, Indien, von einem gelingenden Leben und deren Unterschiede zu westlichen Konzepten.

Nach der Erläuterung der Fragestellung und Methodik dokumentiert der theoretische Teil auf Basis wissenschaftlicher Literatur, journalistischer Beiträge und eines Interviews mit Indologe Nicolas Martin Konzepte der hinduistischen Weltanschauung, Keralas historischen Hintergrund und prägende Lebensbereiche wie Familie oder Bildung. Zudem wird der Einfluss der Globalisierung auf gesellschaftliche Rollen untersucht. Der empirische Teil umfasst Interviews mit vier Schülerinnen, einer Historikerin, einem Soziologen und teilnehmende Beobachtung in Trivandrum.

Die Untersuchung zeigt, dass die jungen Frauen trotz familiären und gesellschaftlichen Einschränkungen ein starkes Bewusstsein für Selbstbestimmung haben. Bildung und finanzielle Unabhängigkeit sind zentral. Geschlechternormen und -verhalten werden sowohl durch traditionelle Werte der matrilinearen Vergangenheit Keralas als auch durch patriarchale Einflüsse der britischen Kolonialmacht und des Hinduismus geprägt. Die Lebensentwürfe der jungen Frauen vereinen individuelle und kollektive Werte und schaffen eine Balance zwischen Tradition und Moderne.

Fragestellung

Was ist für Hindu-Schülerinnen an der Christ Nagar School ein gelingender Lebensentwurf? Wie unterscheidet sich dieser gegenüber westlichen Vorstellungen eines gelingenden Lebens? Ausgehend von dieser Fragestellung untersuche ich, wie junge Frauen in einem multireligiösen Kontext an einer christlichen Schule in Kerala selbst ihre Situation und Rolle in der Gesellschaft wahrnehmen und welche Werte und Erwartungen ihre Lebensentscheidungen prägen. Zudem analysiere ich den Einfluss der Globalisierung und des gesellschaftlichen Wandels auf ihre Lebensvorstellungen. Der Vergleich mit westlichen Vorstellungen beabsichtigt die bessere Erfassung kultureller Unterschiede und Gemeinsamkeiten.

Methodik

Die Grundlage für den theoretischen Ausgangspunkt bildet eine Literaturrecherche sowie ein Experteninterview mit Dr. Nicolas Martin, Professor für Indologie an der Universität Zürich. Im empirischen Teil meiner Feldforschung in Trivandrum führte ich halbstandardisierte, qualitative und durch Leitfragen strukturierte Interviews mit einem Soziologen, einer Historikerin sowie mit vier Schülerinnen der Christ Nagar School durch. Die Interviews kombinierte ich mit der Methode der teilnehmenden Beobachtung. Die Daten wurden mittels strukturierender Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet.

Ergebnisse

Bildung sowie finanzielle Unabhängigkeit spielen für alle befragten jungen Frauen eine besonders zentrale Rolle. Sie sehen darin einen Weg zur Selbstverwirklichung. Anderseits verspüren sie Druck, familiären und gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden. Die Vorstellungen eines gelingenden Lebens sind stark durch solche Normen geprägt, wobei eine Kombination aus traditionellen Werten und modernen Ambitionen sichtbar ist. Westliche Konzepte wie individuelle Entscheidungsfreiheit und Autonomie sind ihnen zwar bekannt, werden jedoch nicht direkt übernommen.

Diskussion

Junge Frauen in Kerala haben zwar gemäss meiner Annahme eigene moderne Aspirationen sowie ein starkes Bewusstsein für Selbstbestimmung. Allerdings vereinen sie diese entgegen meiner Hypothese mit traditionellen gesellschaftlichen und familiären Erwartungen. Trotz der sozialen Fortschritte durch das „Kerala-Modell“, das Frauen seit vorkolonialer Zeit bessere Möglichkeiten geboten hat als in anderen indischen Bundesstaaten, sind heute neuere, patriarchale Strukturen weit verbreitet.

Schlussfolgerungen

Junge Hindu-Frauen an der Christ Nagar School haben vielschichtige Vorstellungen eines gelingenden Lebens, die sich von westlichen unterscheiden. Gleichzeitig prägt sie die Globalisierung, insbesondere über soziale Medien. Ihre Lebensentwürfe vereinen familiäre Verpflichtungen und gesellschaftliche Erwartungen mit ihren Wunsch nach beruflicher Selbstverwirklichung. Trotz neuer patriarchaler Strukturen dürfte ein Bewusstsein für Keralas matrilineare Tradition bestehen – etwa in ihrem hohen Bildungsstreben. Sie integrieren moderne Ambitionen mit traditionellen Rollen und schaffen so eine Balance zwischen Tradition und Moderne. Mögliche interessante Anknüpfungen an meine Forschung wären, den Einfluss von Migration oder anderen Glaubensrichtungen auf die Vorstellungen der jungen Frauen zu untersuchen.

 

 

Würdigung durch die Expertin

Dr. Damaris Lüthi

Die Autorin zeigt aufgrund von halbstandardisierten Interviews, teilnehmender Beobachtung und der Konsultation wissenschaftlicher Literatur, dass hinduistische junge Frauen in Trivandrum ein Selbstvertrauen haben, das sich sowohl an traditionellen Konzepten orientiert, als auch offen ist für Veränderungen. Im Spannungsfeld von drei Tendenzen – der bis in die zweite Hälfte des 20. Jh. dominanten matrifokalen Tradition, der sich ab Mitte des 19. Jh. verstärkenden patrifokalen Tradition, und den sogenannt ‹modernen›, westlichen Einflüssen – bestimmen die jungen Frauen selbstbewusst ihr Leben.

Prädikat:

sehr gut

 

 

 

Kantonsschule Alpenquai Luzern
Lehrer: Dr. Tommi Mendel