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Berenike Weickgenannt, 2005 | Rheinfelden, AG

 

Diese Arbeit setzt sich mit der Zeitzeugengeschichte meiner Grossmutter, Marianne Weickgenannt, auseinander. 1964 floh sie durch den „Tunnel der 57“ aus der DDR nach West-Berlin. Dieser Flucht ging jedoch ein gescheiterter Versuch voraus: 1963 wurde sie bei dem Versuch, die bulgarisch-jugoslawische Grenze zu überqueren, verhaftet und für zehn Monate in einem Stasi-Gefängnis inhaftiert. Nach ihrer Entlassung gelang ihr schliesslich die Flucht in den Westen. 2012 wurde sie von der Stiftung Gedenkstätte Hohenschönhausen in Berlin als Zeitzeugin interviewt. Dieses Zeitzeugeninterview bildet die Grundlage für die Arbeit.

Mit der Arbeit wird untersucht, wie ihre Geschichte – geprägt von Angst, Hoffnungslosigkeit, aber auch von Mut und Stärke – und ihr historischer Kontext künstlerisch in einem Skizzenbuch umgesetzt werden können. Der theoretische Teil beleuchtet die geschichtlichen Hintergründe der Nachkriegszeit, der deutschen Teilung, des Mauerbaus, der DDR, der Stasi sowie des „Tunnels der 57“. Zudem werden Zeitzeugeninterviews als Methode der Geschichts-wissenschaft (Oral History) und die visuelle Darstellung von Emotionen analysiert.

Fragestellung

Wie kann die Zeitzeugengeschichte meiner Grossmutter künstlerisch so umgesetzt werden, dass sowohl ihre persönliche Geschichte und ihre Emotionen als auch der historische Kontext dieser Zeit für die Betrachtenden nachvollziehbar aufbereitet werden? Welche künstlerischen Mittel eignen sich, um dieses Ziel zu erreichen?

Methodik

Die Grundlage der Arbeit bildet das Zeitzeugeninterview, das inhaltlich analysiert wurde. Aus dieser Analyse liessen sich die thematischen Schwerpunkte der Arbeit sowie die zentralen Ereignisse in Mariannes Fluchtgeschichte definieren. Diese Ereignisse wurden in einem Skizzenprotokoll festgehalten und mit künstlerischen Mitteln visuell interpretiert. Dabei wurde gezielt mit Bildkomposition, Zeichenmaterialien (Kohle, Tusche, Aquarell) und künstlerischen Stilen gearbeitet, um Emotionen und historische Authentizität zu transportieren. Die Zeichnungen wurden nachträglich als Skizzenbuch gelayoutet. Durch die Kombination von Zeichnungen, dem überarbeiteten Originaltext des Interviews und einem ergänzenden historischen Kommentar entstand ein visuelles Narrativ.

Ergebnisse

Das entstandene Skizzenbuch umfasst 35 Zeichnungen, die Mariannes Fluchtgeschichte authentisch erzählen. Neben den Skizzen enthält es den überarbeiteten Originaltext des Interviews sowie historische Erläuterungen. Die künstlerischen Mittel wurden gezielt eingesetzt, um die emotionale Komponente der Geschichte zu verstärken. Allgemein stellt Oral History einen wichtigen Bestandteil der Geschichtswissenschaften dar, da sie durch ihre Subjektivität historische Ereignisse emotional zugänglich für eine breite Bevölkerung macht.

Diskussion

Während des Arbeitsprozesses stellte sich heraus, dass das Endprodukt weniger einem Skizzenbuch als vielmehr einem Bilderbuch gleicht. Eine eingehendere Analyse der Elemente eines Skizzenbuchs zu Beginn der Arbeit hätte helfen können, eine noch bewusstere gestalterische Entscheidung zu treffen. Zudem zeigte sich, dass die künstlerische Umsetzung die Herausforderung mit sich bringt, subjektive Erinnerungen und historisch belegbare Fakten in einer Weise zu verbinden, die sowohl emotional eindringlich als auch wissenschaftlich fundiert bleibt.

Schlussfolgerungen

Die Darstellung der Zeitzeugengeschichte als Skizzenbuch ermöglicht es, die Geschichte aus der Perspektive der Zeugin zu erzählen und so einen wirkungsvollen Zugang zu persönlichen und historischen Erlebnissen zu schaffen. Die Erkenntnisse aus diesem Projekt könnten auch für zukünftige Arbeiten genutzt werden, um Zeitzeugengeschichten auf neue, erlebbare Weise zu bewahren und weiterzugeben. Um den persönlichen Ausdruck des Buches zu steigern, könnten die Texte in Handschrift verfasst werden. Auch könnten mehrere Perspektiven dargestellt werden, um die Subjektivität der Geschichte noch eindrücklicher zu gestalten.

 

 

Würdigung durch die Expertin

Anette Gehrig

In dem bildstarken und berührenden Visual Essay «Von einer die rübermachte» setzte sich Berenike Weickgenannt mit der Flucht von Ostberlin nach Westberlin ihrer Grossmutter im Nachkriegsdeutschland von 1964 auseinander. Der Autorin und Zeichnerin gelingt eine aussagestarke Geschichte mit Zeichnungen in unterschiedlichen Stilen, die die Hoffnung, Zweifel, Ängste und Gefahren der Flucht erfahrbar machen. Ein Reigen von Personen, Gegenständen, Orten, Situationen und stilisierten, fast abstrakten Bildern im Nebeneinander von Bleistift, Tusche und Kohle lässt die Brüchigkeit von Erinnerung spüren.

Prädikat:

hervorragend

Sonderpreis «Genius Olympiad – Art»

 

 

 

Gymnasium Bäumlihof, Basel
Lehrerin: Silvia Arbogast