Geschichte | Geographie | Wirtschaft | Gesellschaft
Noah Allenspach, 2006 | Chur, GR
Verfassungsgerichtsbarkeit bezeichnet die gerichtliche Überprüfung staatlichen Handelns auf Verfassungskonformität und die Durchsetzung des Verfassungsvorrangs, einschließlich der Prüfung von Gesetzen auf allen Staatsstufen. Diese Arbeit untersucht die Verfassungsgerichtsbarkeit in der Schweiz mit Fokus auf das Massgeblichkeitsgebot in Art. 190 BV, das eine Überprüfung von Bundesgesetzen ausschließt. Diese Vorschrift wird im Kontext der Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Volkssouveränität analysiert. Zunächst werden Begriff und Systematik der Verfassungsgerichtsbarkeit sowie deren Ausprägungsformen dargestellt. Danach folgt eine historische Betrachtung der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Schweiz im Vergleich zu den USA und Deutschland. Ein zentraler Abschnitt diskutiert eine mögliche Reform der schweizerischen Verfassungsgerichtsbarkeit, wobei Vor- und Nachteile einer Überprüfung von Bundesgesetzen abgewogen werden. Kritisiert wird, dass das Fehlen dieser Kontrolle die Verfassung und den Föderalismus schwächt. Abschliessend wird ein Reformvorschlag unterbreitet, der den Grundrechtsschutz und Föderalismus stärkt, ohne das demokratische Prinzip zu gefährden. Eine Reform wäre notwendig, um die rechtsstaatliche Kontrolle zu verbessern und internationale Standards zu erreichen.
Fragestellung
Die zentrale Frage der Arbeit lautet, ob das heutige System der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Schweiz sowohl aus rechtsstaatlicher als auch demokratischer Sicht das bestmögliche ist. Nach Beantwortung der Leitfrage soll ein Reformvorschlag formuliert werden, der heutige Mängel behebt. Die Arbeit untersucht die Verfassungsgerichtsbarkeit in der Schweiz, insbesondere im Hinblick auf die Kontrolle von Bundesgesetzen. Dabei wird auf die umstrittene Besonderheit des schweizerischen Systems eingegangen. In einem rechtsvergleichenden Ansatz werden auch die Systeme der USA und Deutschlands herangezogen, um die schweizerische Verfassungsgerichtsbarkeit in einem breiteren Kontext zu beleuchten.
Methodik
Als hauptsächliches Verfahren wurde die Literaturarbeit gewählt. Diese umfasst das Zusammentragen und Studieren geeigneter Literatur und das anschliessende kritische Hinterfragen des Gelesenen. Auf Grundlage des Vorangegangenen folgt dann das Verfassen der Arbeit. Als weiteres Verfahren dienten Experteninterviews. Es wurden dabei mit mehreren Persönlichkeiten aus den Bereichen Rechtswissenschaft und Politik qualitative Interviews durchgeführt.
Ergebnisse
Die Arbeit kommt zum Schluss, dass die schweizerische Verfassungsgerichtsbarkeit reformbedürftig ist. Art. 190 BV verhindert eine umfassende richterliche Kontrolle und wird als zentrales Problem identifiziert, wobei bestehende Ansätze einer partiellen Verfassungsgerichtsbarkeit nicht ausreichen, um einen effektiven Grundrechtsschutz zu gewährleisten. Die Untersuchung schlägt ein System mit einer allgemeinen akzessorischen Normenkontrolle verbunden mit einer Vorlagemöglichkeit der unteren Instanzen an das Bundesgericht vor sowie eine abstrakte Normenkontrolle durch das Bundesgericht, wobei einzig die Kantone antragsberechtigt wären. Der Reformvorschlag ist eine ausgewogene Lösung, die die Rechtsstaatlichkeit stärkt und der schweizerischen Tradition Rechnung trägt.
Diskussion
Die Arbeit zeigt, dass die fehlende Verfassungsgerichtsbarkeit gegenüber Bundesgesetzen in der Schweiz eine Schwachstelle darstellt. Diese Erkenntnis deckt sich mit der weitläufigen Meinung, dass das Massgeblichkeitsgebot problematisch ist.
Rückblickend erweist sich das gewählte Vorgehen als solide, da es eine Kombination aus historischer Analyse, Rechtsvergleich und Expertenmeinungen umfasst. Die Befragung einer grösseren Anzahl Experten hätte zusätzliche Perspektiven geliefert. Bei mehr vorhandenen Ressourcen wäre eine vertiefte Auslegung und Analyse des Massgeblichkeitsgebots, besonders in Bezug auf die Rechtsprechung, und eine Ausweitung der Untersuchung auf die Verfassungsgerichtsbarkeiten der Kantone interessant gewesen, um der Arbeit mehr Breite und Tiefe zu verleihen.
Schlussfolgerungen
Erreicht wurde eine fundierte Analyse der aktuellen Situation sowie eine differenzierte Diskussion bezüglich möglicher Reform. Nicht geklärt wurde hingegen die politische Umsetzbarkeit einer solchen Reform, da dies über den Rahmen der Arbeit hinausging. Künftige Forschungen sollten sich daher mit der politischen Machbarkeit sowie den Auswirkungen einer Reform auf das Rechtssystem vertieft auseinandersetzen.
Würdigung durch die Expertin
lic.iur., Rechtsanwältin Susan Diebold Rupp
Bundesgesetze sind in der Schweiz von der Verfassungsgerichtsbarkeit ausgeschlossen. Noah Allenspach führt die Lesenden sprachlich präzise und mit beachtlichem juristischem Verständnis in die Verfassungsgerichtsbarkeit ein und beleuchtet die schweizerische Besonderheit sorgfältig im historischen und verfassungsvergleichenden Kontext. Den herausgearbeiteten rechtsstaatlichen und föderalistischen Mängeln begegnet er mit einem überzeugenden Reformvorschlag, der die bestehenden Strukturen berücksichtigt und die Schwächen des heutigen Systems effektiv beseitigt.
Prädikat:
sehr gut
Bündner Kantonsschule, Chur
Lehrerin: Sol Bonderer Imper