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Vanessa Burckhardt, 2005 | Oberwil, BL
Julia Mäser, 2005 | Reinach, BL

 

Disney-Filme sind mehr als Unterhaltung – sie vermitteln Normen und Werte, welche die Gesellschaft seit Generationen prägen. Besonders die Prinzessinnenfilme stehen immer wieder in der Kritik, Geschlechterstereotype und sexistische Darstellungen zu reproduzieren. Mit der Neuverfilmung von Arielle, die Meerjungfrau (2023) stellt sich die Frage, ob und inwiefern sich die Geschlechterdarstellung im Vergleich zur Originalversion von 1989 verändert hat. Das Ziel dieser Arbeit war es, einen kritischen Blick auf eine scheinbar harmlose und unterhaltsame Erzählung zu werfen und zu analysieren, welche Botschaften Kinderfilme tatsächlich vermitteln. Da Kinder besonders empfänglich für mediale Einflüsse sind, sollten die Medieninhalte gezielt und differenziert betrachtet werden. Die Arbeit leistet einen Beitrag zur Diskussion über Geschlechterrepräsentation in populären Medien und zeigt, dass Fortschritte in der filmischen Darstellung von Geschlecht oft langsamer voranschreiten als gesellschaftliche Entwicklungen.

Fragestellung

Wie unterscheiden sich die alte (1989) und neue (2023) Version des Films Arielle, die Meerjungfrau in Bezug auf Geschlechterstereotypen und Sexismus?

Methodik

Diese Arbeit basiert auf einer qualitativen und quantitativen Inhaltsanalyse. Die quantitative Analyse erfolgte mithilfe einer Frequenzanalyse, bei der ein Codierungsraster zur systematischen Erfassung relevanter Merkmale entwickelt wurde. Dieses Raster enthielt Kategorien zu geschlechterstereotypischen Darstellungen, hostilem und benevolentem Sexismus und Sexualisierung. Die Häufigkeit der untergeordneten Analyseeinheiten der Kategorien wurde in beiden Filmen erfasst und miteinander verglichen. Die qualitative Analyse ergänzte diese Daten, indem zentrale Figuren, Dialoge und Handlungen auf visueller, auditiver und narrativer Ebene untersucht wurden. Zur Analyse wurden Filmmaterial, Transkripte und Standbilder verwendet.

Ergebnisse

Die Analyse zeigt merkbare Veränderungen in der Darstellung von Geschlechterstereotypen und Sexismus zwischen den beiden Versionen. Insgesamt wurden einige traditionelle Rollenbilder abgebaut, insbesondere in der Charakterisierung von Arielle und Eric. Arielle wird als eigenständiger und entschlossener dargestellt, während Eric emotionaler erscheint und nicht mehr ausschliesslich die Rolle des mutigen Retters übernimmt. Hingegen erscheint Tritons Kontrolle über Arielle in der neuen Version restriktiver und paternalistischer. Zudem wurden neue weibliche Figuren wie die Königin eingeführt, und die Figur Scuttle erhielt in der Neuverfilmung ein weibliches Geschlecht. Der hostile Sexismus hingegen hat gesamthaft zugenommen. Besonders auffällig ist die Darstellung der Antagonistin Ursula, die in der neuen Version noch stärker mit negativen Eigenschaften wie Hysterie und Manipulation behaftet wird. Ein klarer Rückgang zeigt sich in der Sexualisierung der Charaktere. Beispielsweise hat sich sexualisierende Sprache insgesamt um 71% reduziert, insbesondere in den Äusserungen von Ursula und Sebastian gegenüber Arielle.

Diskussion

Die Analyse zeigt eine ambivalente Entwicklung in der Darstellung von Geschlechterrollen und Sexismus. Während geschlechterstereotypische und benevolent sexistische Darstellungen zurückgegangen sind, hat hostiler Sexismus zugenommen. Auch die Sexualisierung wurde deutlich reduziert. Zudem bleibt Ursula in der Neuverfilmung eine klassische Antagonistin, deren Machtausübung mit negativen Eigenschaften delegitimiert wird.
Die gewählte Methodik erwies sich als sinnvoll, um Muster und Bedeutungen herauszuarbeiten, es bestanden jedoch Einschränkungen hinsichtlich der subjektiven Interpretation filmischer Inhalte. Eine breitere Analyse weiterer Disney-Filme könnte zeigen, ob die beobachteten Veränderungen Teil eines umfassenderen Trends sind.

Schlussfolgerungen

Die Analyse zeigt, dass Disney zwar weibliche Hauptfiguren emanzipierter darstellt, jedoch tiefergreifende Geschlechterhierarchien kaum hinterfragt. Zudem suggeriert die Darstellung männlicher Autorität, dass weibliche Unabhängigkeit kontrolliert werden muss. Disney nimmt seine Verantwortung als einflussreiches Medienunternehmen nur bedingt wahr, indem es vorrangig oberflächliche Anpassungen vornimmt, ohne narrative Strukturen grundlegend zu überarbeiten. Da wir uns aus Kapazitätsgründen nur auf die Unterschiede zwischen den beiden Filmversionen beschränkt haben, konnten wir auf einige relevante Problematiken bezüglich Geschlechterstereotypen und Sexismus nicht näher eingehen, da sich dort keine Unterschiede zwischen den Versionen feststellen liessen.

 

 

Würdigung durch die Expertin

Dr. Ursula Ganz-Blättler

Seit 2010 werden die älteren Disney-Zeichentrickfilme systematisch neu verfilmt, wobei sich die Adaptationen für den Vergleich sozial bedeutsamer Klischees und Wertvorstellungen über Zeit anbieten. Die vorliegende Arbeit nutzt das theoretische und methodische Instrumentarium der Cultural und Gender Studies, um Geschlechterstereotypen in der «Kleinen Meerjungfrau» von 1989 und 2023 zu analysieren. Die Theorie ist reichhaltig und fundiert, die Herleitung der Hypothesen schlüssig; die empirische Forschungsanlage überzeugt insgesamt, und die Befunde erscheinen differenziert und anschlussfähig.

Prädikat:

sehr gut

 

 

 

Gymnasium Oberwil
Lehrerin: Aideen Mitterer-Oeri