Literatur | Philosophie | Sprache
Anita Widmer, 2006 | Winterthur, ZH
Wie viel Macht darf einer herrschenden Instanz zukommen? Der römische Jurist Salamonio (1450–1532) geht dieser Frage nach, indem er in seinem Dialog De principatu (1544) einen Philosophen, einen Juristen, einen Theologen und einen Historiker auf die Suche nach dem gerechten Fürstentum schickt. Sein kontraktualistischer Ansatz erklärt den anfänglichen Zusammenschluss zur bürgerlichen Gesellschaft (Gesellschaftsvertrag, pactum societatis) und zeigt, wie aus einer Gemeinschaft aus Gleichen ein Einzelner zum Fürsten erhoben werden kann (Herrschaftsvertrag, pactum subiectionis). Damit beweist Salamonio, dass die Souveränität beim Volk liegt und dass der Fürst nicht von den Gesetzen losgelöst sein darf. Noch immer erweisen sich seine absolutismuskritischen Überlegungen als wegweisend, weshalb meine Arbeit diese Schrift in ihrer Argumentationsweise zu analysieren und historisch sowie ideengeschichtlich einzuordnen sucht. Insbesondere wird augenscheinlich, wie nahe Salamonio der antiken Philosophie steht. Eine eigene Übersetzung der Schrift aus dem Lateinischen, die Analyse zeitgenössischer Quellen und die kritische Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Beiträgen dienten mir als Grundlage.
Fragestellung
Das Ziel meiner Arbeit war es, die profunden Gedankenstränge in De principatu ausgehend von zwei Kernfragen aufzuschlüsseln: Wie begründet und verteidigt Salamonio die Grenzen der Legitimität politischer Macht? Welche Bedeutung kam diesem Dialog in der Renaissance zu und inwiefern eröffnet er dem zeitgenössischen, aber auch dem modernen Leser neue politische Konzepte?
Methodik
Als Ausgangspunkt für meine Untersuchung diente mir eine eigene Übersetzung von De principatu. Der Dialog liegt nun erstmals in deutscher Sprache vor. Anhand der direkten Arbeit am Text, der Analyse frühneuzeitlicher Quellen und unter Einbezug sämtlicher wissenschaftlicher Beiträge zu Salamonio und seinem Werk sollten der philosophische Gehalt sowie die Einzigartigkeit seiner Ausführungen differenziert dargelegt werden.
Ergebnisse
Die Gesetzesbindung des Fürsten beweist Salamonio anhand zweier Vertragstheorien: Der staatsbegründende Gesellschaftsvertrag garantiert die Freiheit, die Gleichheit und den politischen Miteinbezug aller Bürger. Die Bestimmungen dieses Vertrags sind zwingend, denn sie bewahren den Einzelnen vor der willkürlichen Gewaltausübung seiner Mitmenschen. Mittels eines Herrschaftsvertrags beauftragt das Volk einen Einzelnen mit der Leitung der Staatsgeschäfte. Als Auftraggeber bleibt das Volk dem Fürsten aber übergeordnet, weshalb dieser stets dem Willen des Souveräns und seinen Gesetzen verpflichtet ist. Verstösst er dagegen, gilt er als Despot und wird abgesetzt.
Ideengeschichtlich sind drei Punkte bedeutsam: Erstens führt Salamonio den Staat explizit auf einen Gesellschaftsvertrag zurück. Zweitens leitet er diesen aus dem freien Willen der mündigen Bürger ab, womit er das Individuum zum politischen Akteur erhebt. Drittens integriert er die natürlichen Grundrechte in das menschengemachte Rechtssystem, indem er Freiheit und Gleichheit für den Gesellschaftsvertrag voraussetzt.
Salamonios Staatstheorie greift vielfach auf die antike Philosophie zurück, wie sowohl die formale als auch die inhaltliche Betrachtung von De principatu aufzeigen. Rezipiert wurde das Traktat insbesondere durch die Monarchomachen, doch vermag der Text auch heute noch zur Reflexion über Macht und ihre Begrenzung anzuregen.
Diskussion
In meiner Arbeit konnte ich beide Fragestellungen hinreichend beantworten. Indes ergaben sich vor allem aufgrund der wissenschaftlichen Unbekanntheit von Salamonio und seinem Werk Lücken hinsichtlich der Rezeptionsgeschichte von De principatu. Trotzdem erscheint mir mein Vorgehen sinnvoll, ich habe die gesamte auffindbare Sekundärliteratur zu Salamonio studiert und durch meine eigene Textarbeit neue Perspektiven in die Diskussion eingebracht.
Schlussfolgerungen
De principatu stellt ein innovatives, aber bislang wenig beachtetes Traktat der politischen Ideengeschichte dar. Es dient als Paradigma für den Widerstand gegen absolutistische Herrschaftsweisen und hat an Relevanz nichts eingebüsst. Meine Arbeit schlüsselt Salamonios kontraktualistischen Gedanken der Volkssouveränität auf, doch bleibt unklar, inwiefern die Schrift andere Denker geprägt haben könnte. Ein vertiefter Vergleich mit anderen Vertragstheoretikern wie Hobbes oder Locke dürfte da Aufschluss bieten. Erfreulich wäre es, wenn meine Übersetzung weiteren Forschungen als Ausgangspunkt dienen könnte.
Würdigung durch den Experten
Luca Hollenborg
Anita Widmers Arbeit zu Salamonios «De principatu» übertrifft das übliche Niveau von Maturaarbeiten. Ihre eigene Übersetzung aus dem Lateinischen macht einen nahezu unbekannten Text erstmals auf Deutsch zugänglich. Beeindruckend sind ihre präzise Einführung in die Grundgedanken, die fundierte Darstellung der Überlieferungsgeschichte und die souveräne Einbettung in die Ideengeschichte. Bemerkenswert ist die Parallele zu Machiavellis «Il Principe», wozu Salamonio als Gegenentwurf gelesen werden kann, der heute jedoch kaum rezipiert wird. Insgesamt ein beachtlicher wissenschaftlicher Verdienst.
Prädikat:
hervorragend
Sonderpreis «Luxembourg International Science Expo (LISE)» gestiftet von der Fondation Jeunes Scientifiques Luxembourg & der Gamil Stiftung
Kantonsschule Rychenberg, Winterthur
Lehrer: Frank Gerber