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Anna Ilg, 2002 | Gockhausen, ZH

 

Das junge Namibia zählt zu den Ländern mit den grössten Disparitäten weltweit. Seit der Unabhängigkeit 1990 stellen die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit und die gleichmässigere Verteilung von Landwirtschaftsland wichtige innenpolitische Themen dar. Mit dem 1975 veröffentlichten „Land Reform Policy Paper“ veröffentlichte die Weltbank die marktgestützte Landreform als eine mögliche Entwicklungsstrategie. Über die Implementierung einer überarbeiteten Version dieser Landreform suchte Namibia eine friedliche Landumverteilung zugunsten einer gesamthaft positiven Entwicklung des Landes unter gleichzeitiger Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit und der Überwindung des daraus resultierenden dualistischen Erbes. Damit befasst sich diese Arbeit, wobei der Fokus auf der Sicht von betroffenen Personen und Gruppen liegt und ausschliesslich auf den Gebieten südlich der Veterinärgrenze.

Fragestellung

Die Arbeit geht der oben umschriebenen Fragestellung nach, insbesondere wo Chancen und Risiken dieses Wegs liegen, und ob auf globaler Ebene gemachte Beobachtungen mit ähnlichen Landreformen auch auf Namibia zutreffen, mit besonderem Augenmerk auf die gesellschaftliche Ebene. Daraus haben sich die konkreten Fragen an die Interviewpartner ergeben nach deren persönlicher Einstellung zur Landreform und dem Erfolg der Strategie (I), den Mängeln und dem Verbesserungspotential (II), der Geeignetheit der Massnahme zur Überwindung der wirtschaftlichen Disparitäten, friedlichen Entwicklung des Landes und Verhinderung der entschädigungslosen Enteignung von weissem Farmland (III und IV), danach ob die von der Weltbank global gemachte Beobachtung zur Landreform als wirtschaftlicher Misserfolg mit positiven Auswirkungen auf sozialer Ebene auch auf Namibia zutreffe (V).

Methodik

Ich habe mir durch das Studium von Zeitungsberichten, Artikeln, wissenschaftlichen Arbeiten und Literatur zum Thema der Landfrage, von Reparationszahlungen, des Genozids und der Geschichte Namibias einen Überblick verschafft und die theoretischen Grundlagen erarbeitet. Gleichzeitig habe ich Leute in Namibia kontaktiert, die ich auf meiner Reise dorthin 2019 kennengelernt hatte, ebenso wie weitere für das Thema relevante Personen. In einem zweiten Schritt führte ich Interviews mit diesen Personen und wertete sie aus.

Ergebnisse

Die Interviewpartner sind sich einig, dass die namibische Landreform mit dem «Willing-Seller, Willing-Buyer» Prinzip ein gutes Konzept sei, die angestrebten Ziele mit der jetzigen Umsetzung allerdings nicht erreicht werde. Die Geister scheiden sich am Grad, zu welchem Anpassungen gemacht werden müssten. Die Mehrheit stuft das NRP (National Resettlement Programme) als «economic disaster» ein. Für die Umverteilung von Agrarland scheint deshalb das Einstellen des NRP und der Ausbau des AALS (Affirmative Action Loan Scheme) der erfolgversprechendere Weg. Als Entwicklungsstrategie eigne sich die Landreform jedoch nicht. Dafür gebe es effizientere und nachhaltigere Instrumente, wie z.B. die Investition in den städtischen Wohnungsbau, welcher sich auch auf die hohe Arbeitslosigkeit positiv auswirken könnte. Neben der Kursänderung in der Landreform, scheint auch die Aufklärung der Bevölkerung sehr wichtig darüber, dass die Landwirtschaft nicht der goldene Weg zum Reichtum ist. Weiter scheinen die Überwindung der gesellschaftlichen Gräben zwischen Arm und Reich, des Tribalismus und der unterschiedlich starken Einbindung der Bevölkerung in die Politik zentrale innenpolitische Themen zu sein, Rassismus hingegen weniger.

Diskussion

Das gewählte methodische Vorgehen scheint mir auch im Nachhinein als für diese Arbeit sinnvoll. Allerdings würde ich mich künftig schon früher mit Experten in Verbindung setzten, um zielorientierter adäquatere Quellen zu finden und mehr Zeit in eine vertieftere Recherche investieren zu können. Die Interviews waren sehr aufschlussreich.

Schlussfolgerungen

Die Arbeit zeigt, dass ein gutes Konzept allein nicht reicht. Die erwartete Positivspirale setzte in Namibia nicht ein, die Landreform in aktueller Form trägt nicht zur Überwindung der Disparitäten bei und könnte das Land im schlimmsten Fall sogar weiter spalten. Eine Anpassung des Programms scheint dringend. Die Fragestellung konnte beantwortet werden. Aufgrund der prägenden Folgen wäre eine tiefere Auseinandersetzung mit der unter südafrikanischem Regime zu Gunsten armer Weisser durchgeführten Landreform sinnvoll gewesen. Auch wären weitere Interviews z.B. mit resettlement Farmern und staatlichen Akteuren interessant. Gerne würde ich auch den Vorschlägen zur Verbesserung der Landreform nachgehen.

 

 

Würdigung durch den Experten

Dr. Giorgio Miescher

Anna Ilg setzt sich mit einer komplexen, politisch und emotional aufgeladenen Thematik auseinander: Landreform in Namibia. Die Autorin schildert detailliert die über hundertjährige Geschichte von Kolonialismus und Fremdherrschaft, also die Ursache für die einseitigen und als ungerecht wahrgenommenen Besitzverhältnisse von Farmland. In ihrer Analyse der Landreform stellt sie unterschiedliche namibische Perspektiven ins Zentrum. Die Autorin ist sich der Rolle als kritische Forscherin sehr bewusst. Die Arbeit entspricht den Anforderungen dekolonialer wissenschaftlicher Praxis.

Prädikat:

hervorragend

Sonderpreis des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten

 

 

 

Rämibühl-K&S, Zürich
Lehrer: Marcel Zurflüh