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Sofia Baffa, 2005 | Allschwil, BL

 

Die Arbëresh sind eine ethnische, sprachliche und religiöse Minderheit in Italien. Dabei handelt es sich um albanische Geflüchtete, die in mehreren Migrationswellen seit Mitte des 15. Jahrhunderts nach Italien gelangten. In italo-albanischen Gemeinden wird bis heute Arbëresh, eine antike Form des Albanischen, gesprochen und der griechisch-byzantinische Ritus praktiziert. Ein Grossteil der italo-albanischen Dörfer befindet sich in Kalabrien, darunter auch Santa Sofia d’Epiro in der Provinz Cosenza, wo meine Grosseltern aufgewachsen sind.

Fragestellung

Wer sind die Arbëresh und welche ist ihre Geschichte? Wie ist es möglich, dass Sprache, Kultur und Tradition der Arbëresh über 500 Jahre in der Fremde überleben konnte? Wie wird die Kultur heute gelebt und am Leben erhalten? Was hat sich in den letzten 50 Jahren verändert? Diesen Fragen möchte ich im Rahmen meiner Maturaarbeit nachgehen. Dabei beschränke ich mich hauptsächlich auf die Region Kalabrien mit Fokus auf das Dorf Santa Sofia d’Epiro.

Methodik

Um Migrationsgeschichte und Traditionen der Arbëresh zu beschreiben, habe ich Informationen aus der Sekundärliteratur gesammelt und zusammengetragen – vieles erst vor Ort und in italienischer Sprache. Um herauszufinden, wie die Kultur der Arbëresh heute gelebt wird und wie sie so lange überleben konnte, wollte ich an aktuelle, persönliche Geschichten gelangen. Dabei lag mein Fokus nicht auf Expert*innenwissen, sondern auf individuellen Bezügen und Erfahrungen mit der Kultur. Aus diesem Grunde habe ich mich für die Methodik der Oral History entschieden und 4 Gespräche mit Bewohner*innen von Santa Sofia D’Epiro geführt. Auch die Gespräche fanden auf Italienisch statt. Zitate in der Arbeit wurden auf Deutsch übersetzt.

Ergebnisse

Überleben der Kultur: Für das Überleben der albanesità ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren verantwortlich. Die geografische Lage der albanischen Dörfer in abgeschotteten Gebirgsregionen sowie die Heirat, die bis ins 19. Jahrhundert nur zwischen Arbëresh stattfand, führte zur Isolation der Gemeinschaften und zum Erhalt der Sprache, der Traditionen, der Religion und des Vermögens. Auch die Religion verbindet die Arbëresh seit ihrer Flucht. Die griechisch-byzantinischen Kirchgemeinden sind der Grund für viele Bräuche, die bis heute überlebt haben und spielten eine entscheidende Rolle beim Unterrichten der Sprache. Auffallend ist das bis heute spürbare Gemeinschaftsgefühl und die Verbundenheit zur alten Heimat Albanien, was den Erhalt der Kultur ermöglicht. Die Kultur im Wandel: In den letzten fünfzig Jahren kam es zum Verlust von Traditionen, Bräuchen und Sprache. Dies ist durch eine Kombination verschiedener Ursachen zu erklären: Die Globalisierung und die Digitalisierung haben das Leben auch in den albanischen Gemeinden massiv beeinflusst. Vieles ist überflüssig geworden oder einem Streben nach Modernisierung zum Opfer gefallen. Durch das Überbrücken der geografischen Isolation und interkulturelle Hochzeiten gehen grosse Teile der Kultur verloren. Die Emigration in Süditalien führt zudem zum “Aussterben” von italo-albanischen Dörfern. Ein weiteres Problem ist die mangelnde Umsetzung des Gesetzes zum Schutz von Minderheiten wie beispielsweise der fehlende Sprachunterricht. Die Bedeutung der Kultur heute: Noch heute ist die albanesità Teil der Identität vieler Arbëresh. Bemerkenswert ist die starke Verbundenheit, der Stolz und die Leidenschaft, die in Bezug auf Kultur und Sprache verspürt wird. Arbëresh wird nicht nur als Muttersprache, sondern als die «Lingua del cuore», die Sprache des Herzens, betitelt. Einige religiöse Bräuche und Traditionen werden noch heute gelebt. Spuren der Kultur sind an jeder Ecke im Dorf zu finden: sie zeigt sich durch die Murales an den Hauswänden, durch die zweisprachigen Strassen- und Ortsschilder, die Ikonen in der Kirche und durch viel kulturelles Engagement.

Diskussion

Oral History hat sich als Methode bewährt. Die Ergebnisse meiner Gespräche basieren auf Erinnerungen und Erzählungen von Privatpersonen und sprechen somit nicht für alle Arbëresh. Sie verschaffen lediglich einen Einblick in die Kultur.

Schlussfolgerungen

Meine Arbeit befasst sich mit einer relativ unbekannten Bevölkerungsgruppe, über die besonders auf Deutsch nur wenig Sekundärliteratur zu finden ist. Es ist mir gelungen, Zeitzeug*innenberichte festzuhalten, die die Kultur der Arbëresh in starkem Wandel miterlebt haben.

 

 

Würdigung durch die Expertin

Dr. Annelis Schröter-Meier

Mit viel Herzblut und Sachkenntnis setzt sich Sofia Baffa mit einem Teil ihrer Familiengeschichte auseinander. Methodisch vielseitig und stringent erläutert sie die Jahrhunderte alte Geschichte der Arberësh – einer albanischen Volksgruppe – und deren bis heute gelebten Kultur in Süditalien. Die anspruchsvollen Interviews vor Ort hat sie gekonnt ausgewertet. Präzise beschreibt sie die kulturellen und finanziellen Schwierigkeiten der Arberësh als Minderheit. Durch ihre anschauliche Arbeit hilft Sofia Baffa mit, die Geschichte der Arberësh zu vertiefen und in einen zeitgemässen Rahmen zu setzen.

Prädikat:

sehr gut

 

 

 

Gymnasium Kirschgarten, Basel
Lehrer: Rafael Eggel