Gestaltung | Architektur | Künste
Sherine Keller, 2002 | Pfäffikon, SZ
Menschen, die anders sind, werden oftmals ausgeschlossen, beleidigt oder diskriminiert. Zu einer dieser Gruppen gehören Menschen mit Achondroplasie (Kleinwuchs). Mit meiner Videoperformance will ich aufzeigen, dass wir Menschen mit Kleinwuchs ebenfalls Menschen mit Gefühlen sind. Ich will vermitteln, wie stark wir sein müssen, um die täglichen Verletzungen durch andere Menschen zu ertragen. Um den Zuschauer: innen einen emotionalen Zugang zu meiner täglichen Erfahrung zu verschaffen, habe ich mich darauf fokussiert, wie ich Verletzungen sicht- und hörbar machen kann.
Fragestellung
Wie kann ich Beleidigungen und Konfrontationen, denen wir als Menschen mit Achondroplasie (Kleinwuchs) ausgesetzt sind, mit Videoperformance sichtbar machen?
Methodik
Der erste Schritt war die Ideenfindung. Inspiriert durch den Text “Hate Speech” von Judith Butler, eine amerikanische Philosophin, kam mir die Idee, die täglichen Konfrontationen, denen Menschen mit Kleinwuchs ausgesetzt sind, in einer Videoperformance umzusetzen. Dafür musste zunächst die Umgebung, in der die Performance stattfindet, bestimmt werden. Ich wählte einen weissen Fotopapier-Hintergrund, da man mit diesem am besten den Fokus auf das Sujet und die Aktion richten kann. Als nächstes entschied ich mich dafür, die erlittenen Verletzungen mit roter Farbe zu visualisieren. Dabei war die Konsistenz der Farbe ausschlaggebend. Um ein möglichst grosses Feld von Erlebnissen abzudecken, schrieb ich Menschen mit Kleinwuchs auf der ganzen Welt via Instagram an, und bat sie, mir von ihren Erfahrungen per Sprachnachricht zu berichten. Die Reaktionen waren mehrheitlich positiv und so konnte ich viel Tonmaterial sammeln. Die Sprachnachrichten schnitt ich auf inhaltsschwere Aussagen zu. Gleichzeitig testete ich verschiedene Varianten auf ihre Wirkung, in einer Version wurde mir die Farbe direkt ins Gesicht gestrichen. Inspiriert von den Aussagen verfasste ich schliesslich ein Gedicht, welches ich selbst spreche. Aus dem Filmmaterial, das in diesem künstlerischen Prozess entstand, traf ich eine Auswahl. Die Tonaufnahme des Gedichtes fügte ich am Schluss mit den Videokomponenten zusammen.
Ergebnisse
Nach vielen Versuchen, zahlreichen konstruktiven Rückmeldungen und stundenlanger Bearbeitung fiel die Entscheidung. Die finale Version wird mit einem schwarzen Hintergrund und dem Titel der Arbeit eingeleitet. Im Hintergrund hört man, wie sich jemand auf dem Papier bewegt. Nach einigen Sekunden löst sich der schwarze Hintergrund auf und man sieht mich vor der Kamera sitzen. Kurze Zeit später fällt der erste Klecks von roter Farbe. Die Videoperformance, in Kombination mit dem Gedicht, lässt die Farbklatscher brutal erschallen. Die beiden Tonkomponenten ergänzen sich reibungslos. Gegen Ende des Videos lege ich beim Sprechen des Gedichts eine Pause ein und der alleinige Fokus steht auf dem Ton des Farbaufpralls. Die Wirkung der Verletzung wird so intensiviert.
Diskussion
Während des Prozesses sind immer wieder Fragen zwischen meinen Mentor: innen und mir aufgetaucht, die eine Entscheidung von mir verlangten. Welche Tonfassung sollte ich für das Endprodukt wählen? Sind die Originalstimmen der Sprachnachrichten besser, weil sie dokumentarisch wirken? Oder soll durch die Gedichtlesung die künstlerische Aussage der Performance verstärkt werden? Eine weitere wichtige Frage war, ob ich den Menschen mit Kleinwuchs mit meinem Video gerecht werde. Zu Beginn war ich mir noch nicht sicher, doch im Laufe des Editierung-Prozesses, in dem ich Ton und Bild kombinierte, wurden meine Zweifel geringer und die Entscheide fielen leichter.
Schlussfolgerungen
Von der Vorstellung in der Anfangsphase bis zum Endprodukt blieb ich der Idee mit der roten Farbe treu. In ihr steckt eine starke Symbolkraft und sie vermittelt diese auch im Zusammenspiel mit der Stimme aus dem Off. Ich habe mich für die Gedicht-Fassung entschieden, da es mir die Möglichkeit gibt, mich stärker künstlerisch mit der Thematik Kleinwuchs auseinanderzusetzen und die Aufmerksamkeit auf die (Un-)Sichtbarkeit von Verletzungen zu lenken. Die Wirkung konnte ich bei Vorführungen für Kolleg: innen, Familie und weiteren Kreisen beobachten. Sie waren in den meisten Fällen zutiefst berührt. Ich wusste damit, dass ich eines meiner Ziele für diese Arbeit erreicht hatte. Sie soll Menschen mit einer Welt, die sie vielleicht nicht kennen, in Berührung bringen.
Würdigung durch die Expertin
lic.phil.hist. Franziska Trefzer
Sherine Keller ist mit ihrer Arbeit «Mein Körper. Dein Unrecht.» tief in gestalterische Prozesse eingetaucht. Sie beschreibt ihr Vorgehen genau und macht jedes Element transparent, so, dass jeder Schritt auch für Aussenstehende gut nachvollziehbar wird. Sie ist offen für kritische Rückmeldungen, findet einen eigenen Standpunkt dazu, verfolgt mehrere Varianten, überprüft die Wirkung ihrer Entscheide zusammen mit dem Zielpublikum und nutzt das Feedback für die Weiterentwicklung ihrer Arbeit. Damit wird ihre Vorgehensweise für gestalterische Forschung beispielhaft.
Prädikat:
hervorragend
Sonderpreis «Arts and Science Experience» gestiftet von Swissnex
Kantonsschule Ausserschwyz, Pfäffikon
Lehrer: Felix Robert