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Jonas Himmelberger, 2006 | Wädenswil, ZH

 

Die vorliegende Arbeit versucht, ein Zusammenspiel zwischen dem Gedächtnis und der in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Nutzung von digitalen Medien auf neurobiologischer Ebene zu untersuchen.
In einer empirischen Interventionsstudie wurde das alltägliche Szenario des Lernens und des darauffolgenden Abgelenkt-Werdens in einem kontrollierten Rahmen nachgeahmt.
55 geschlechts- und altersdurchmischte Proband:innen absolvierten die komplette Testreihe bestehend aus drei Durchgängen, die sich bloss durch die Phase nach der Einprägung unterschieden: 1. Nichts-Tun (Kontrolle); 2. Ablenkung durch ‘passiven Konsum’ von Kurzvideos und 3. Ablenkung durch ‘aktiven Konsum’ von digitalen Sudoku-Rätseln, je im Abstand von einer Woche.
In der ANOVA zwischen den drei Tests ergab sich eine hohe statistische Signifikanz. Der Konsum von digitalen Medien hat also einen deutlich negativen Einfluss auf das Abrufen kurz zuvor gelernter Inhalte, da die Konsolidierung der Erinnerungen beeinträchtigt wird. Zudem macht die Art der digital konsumierten Inhalte einen wesentlichen Unterschied aus, wobei sich insbesondere im dritten Durchgang eine verringerte Gedächtnisleistung zeigte.

Fragestellung

Inwiefern beeinflusst der eingeschobene Konsum von verschiedenen digitalen Medien zwischen Lern- und Abrufphase das Erinnerungsvermögen an zuvor gelernte Inhalte?

Methodik

In der empirischen Studie absolvierten 55 geschlechts- und altersdurchmischte Proband:innen je drei Durchgänge, bei denen nach einer fünfminütigen Lernphase entweder eine Ruhepause (Kontrolle), eine Ablenkung durch passiven Medienkonsum (Kurzvideos auf sozialen Medien) oder durch aktiven Medienkonsum (digitale Sudokus) folgte. Nach dieser 20-minütigen Intervention erfolgte eine dreiminütige Abrufphase.
Die eigens entwickelten memory tests garantierten, dass die Intervention nicht während der Memorierung, sondern erst während der Konsolidierung angesetzt wurde. Die Lerninhalte bestanden jeweils aus 20 Karteikarten, die eine komplexe Figur und ein deutsches Substantiv assoziierten, um so alle Komponenten des Arbeitsgedächtnisses zu aktivieren und jegliche potenzielle Beeinflussung zu erfassen.
Ergänzend wurde an einem Probanden eine neuroapparative EEG-Untersuchung durchgeführt, um anhand von 21 Elektroden die neuronale Aktivität während der Testphasen zu messen.

Ergebnisse

Die Gedächtnisleistung wurde aufgrund der Anzahl an richtigen Antworten (0-15) bei der Abfrage bewertet. Beim ersten Durchgang – der Kontrolle – ergab sich ein Mittelwert von 11.56 (SD = 2.50). Bei der zweiten Testung war dieser mit 10.89 (SD = 3.15) wesentlich geringer. Beim dritten Subtest resultierte der tiefste Mittelwert von 9.87 (SD = 3.60). In der ANOVA zwischen den drei Tests ergab sich eine hohe statistische Signifikanz (p = 0.0002). Zwischen Durchgang 1 und 2 gab es einen signifikanten, aber eher schwachen (p = 0.03, Cohen’s d = 0.26), zwischen Test 1 und 3 einen signifikanten und starken (p = 0.0003, Cohen’s d = 0.49) und zwischen Test 2 und 3 einen signifikanten und mittleren Unterschied (p = 0.003, Cohen’s d = 0.38).

Diskussion

Der Konsum digitaler Medien unmittelbar nach dem Lernen beeinträchtigt die Gedächtniskonsolidierung negativ, wohingegen die Ruhephase ein mentales Repetieren der Inhalte begünstigt, was deren langfristige Speicherung unterstützt.
Das Konsumieren von Kurzvideos wirkt als Ablenkungsfaktor, da das Arbeitsgedächtnis mit diversen Reizen auslastet wird, wodurch die unterbewusste Repetition beeinträchtigt wird. Dasselbe geschieht entgegen der ursprünglichen Hypothese auch beim aktiven Lösen von Sudokus, da die komplexe kognitive Verarbeitung beim Rätsellösen so viele mentale Ressourcen beansprucht, dass die Konsolidierung noch stärker gestört wird.
Am Rande sei erwähnt, dass in dieser Studie ausschliesslich digitale Formen der Ablenkung getestet wurden, weshalb keine Aussage darüber getroffen werden kann, ob digitale Medien die Lernleistung stärker negativ beeinflussen als herkömmliche Medien.

Schlussfolgerungen

Es kann festgehalten werden, dass die Phase nach dem Lernen möglichst nicht mit digitalem Medienkonsum zusammenfallen sollte. Die Erkenntnis, dass durch denselben Lernaufwand mit Berücksichtigung der Gestaltung der Konsolidierungsphase wesentlich höhere Gedächtnisleistungen erzielt werden können, ist für alle Lernenden äusserst relevant und sollte meiner Meinung nach in Leitfäden für Schüler:innen Eingang finden.
Für eine allgemeingültige Empfehlung oder Aussage bezüglich der optimalen Pausendauer wären jedoch weiterführende Studien nötig.

 

 

Würdigung durch die Expertin

Dr. Sandra Grinschgl

Die vorliegende Maturitätsarbeit illustriert die Begeisterung von Jonas Himmelberger alltagsnahe und hoch-aktuelle Fragestellungen empirisch zu untersuchen. Jonas hat mit grosser Sorgfalt empirische Messmethoden (im speziellen Lernmaterialien und Gedächtnistests) entwickelt, um die Effekte verschiedener Arten von digitaler Mediennutzung (aktive vs. passive Mediennutzung) auf den Lernprozess von Personen zu untersuchen. Mit inferenzstatistischen Analysemethoden hat er seine Ergebnisse ausgewertet, visualisiert und interpretiert.

Prädikat:

sehr gut

 

 

 

Kantonsschule Freudenberg, Zürich
Lehrerin: Linn Sgier