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Manon Vernier, 2003 | Basel, BS

 

Jeden Tag und jede Nacht versuchen Menschen auf der Flucht, in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, Grenzen zu überqueren. Ein Beispiel dafür ist die französisch-italienische Grenze bei Briançon in den Alpen. Am Tag ist Briançon ein touristisches kleines Alpenstädtchen, mit Skigebieten und beschaulicher Altstadt. In der Nacht versuchen Menschen unbemerkt, von Italien nach Frankreich zu gelangen. Auch die Grenzwache ist in den Bergen unterwegs und falls sie Menschen ohne Papiere antrifft, bringt sie sie wieder nach Italien zurück. Dies wird Pushback genannt. Im Rahmen meiner Maturaarbeit habe ich ein Buch über diesen Ort erstellt. Dazu habe ich zehn Fragen gestellt – um die Geschehnisse an dieser Grenze vorzustellen – die mittels Texte und Linolschnitten beantwortet werden.

Fragestellung

Als ich zum ersten Mal von den Geschehnissen an dieser Grenze erfahren habe, liess mich die Absurdität dieses Ortes nicht mehr los, und ich fragte mich, wieso ich noch nie zuvor davon gehört hatte. Mehr Menschen sollten davon erfahren und sich damit beschäftigen. Dieses Anliegen führte mich zu meiner Leitfrage: Wie kann ich andere Menschen dazu anregen, über das europäische Asylsystem nachzudenken und sich und ihre eigene Rolle zu reflektieren?

Methodik

Um ein möglichst vollständiges und authentisches Bild von der Situation an der Grenze wiedergeben zu können, verbrachte ich zwei Wochen in Briançon. Während dieser Zeit führte ich viele Gespräche und hörte zu. Ausserdem führte ich zwei Interviews mit Angehörigen von Solidaritätsnetzwerken. Zu den gesammelten Erfahrungen und Informationen verfasste ich Texte und gestaltete Linolschnitte, um sie in einem Buch einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Ergebnisse

Am Ende der Arbeit hielt ich ein Buch in den Händen – und zwar nicht nur eines, sondern gleich 22 Exemplare. Ein Exemplar umfasst 70 Seiten und enthält 22 Originallinoldrucke. Das Buch ist in eine Rahmenhandlung gesetzt, in der ich aus meiner Perspektive erzähle, was ich in Briançon erlebt habe. Es beginnt damit, wie ich in Briançon ankomme, und endet mit meiner Abfahrt zwei Wochen später. Dazwischen thematisiere ich Fragen und skizziere Antworten, die mich vor, während und nach meiner Zeit dort beschäftigt haben. Von all meinen Fragen wählte ich zehn aus, die das Buch in zehn Kapitel gliedern. Dabei war mir wichtig, dass die Texte und Bilder keine abschliessenden Erklärungen und Antworten darstellen, sondern zum weiteren Nachdenken anregen. Im Buch gibt es zwei verschiedene Textarten. Die Texte in Schwarz sollen ein grundlegendes Verständnis für die sachliche Lage an der Grenze vermitteln. Die Texte in Grau berichten davon, wie ich den Ort wahrgenommen habe. So ergibt sich ein abwechslungsreiches Ganzes, bei dem die beiden Textarten sich ergänzen. Ausserdem sind auch die zwei Interviews gekürzt im Buch enthalten. Die Linolschnitte zeigen die Momente so auf, wie ich es beabsichtigte: Sie stellen, ohne präzise auf eine Person einzugehen, ein Bild von der Grenze bei Briançon dar. Ein umfassendes Bild der Geschehnisse in Briançon wird vermittelt und die Linolschnitte helfen beim Verständnis und bringen den Text näher.

Diskussion

In Briançon sammelte ich viele Erinnerungen und Erfahrungen, die ich nun mit meinem Buch teilen kann. Diese Momente berührten mich, und sie berühren nun durch die Texte und Linolschnitte auch andere. Jedoch war mir schon während des Schreibens der Arbeit aufgefallen, dass ich keinen Menschen auf der Flucht habe zu Wort kommen lassen. Als ich in Briançon war, fühlte ich mich nicht dazu bereit, ein Gespräch zu führen, das meine Ansprüche erfüllten würde. Nämlich die, der Person, die ich interviewte, genügend Raum und Respekt für ihre persönliche Geschichte zu geben. Gegen Ende meines Aufenthaltes wurde mir bewusst, dass ich gerne mit Oral History ein Gespräch mit den Menschen über ihre Flucht geführt hätte.

Schlussfolgerungen

Die unterschiedlichen Ebenen der Bilder regen zu weiteren Gedanken an. Sie vertiefen mit ihrer Vielschichtigkeit die Bedeutung des Textes. Die Beziehung von Bild und Text kann die lesende Person auf eine Reise mitnehmen, an einen bisher unbekannten Ort, zu einer anderen Zeit und mit Menschen, die sie noch nicht kennt. All diese Faktoren müssen nicht unbedingt zur Selbst-Reflektion führen, jedoch wecken sie auf jeden Fall gewisse Fragen und Gedanken in diese Richtung und erleichtern diesen Prozess. Selbst-Reflektion wird also ermutigt. Es wird ein Bewusstsein geschaffen, dafür, was an unseren Grenzen passiert, wie wir damit umgehen und wie wir handeln.

 

 

Würdigung durch die Expertin

Susanne Käser

Manon Vernier verfasste eine sensible Arbeit zu einem brennenden Thema unserer Zeit, der europäischen Asylpolitik. Mutig und zugleich einfühlsam nähert sie sich einer für viele Menschen unbekannten Seite des Grenz- und Tourismusorts Briançon. Ihre Publikation zeichnet sich durch präzise Bild-Text-Kombinationen aus, die einen vielschichtigen Einblick in das Thema gewähren, informieren und Gedankenräume öffnen, ohne dabei wertend zu sein.

Prädikat:

hervorragend

Sonderpreis «Genius Olympiad – Art» gestiftet von der U.S. Embassy Bern

 

 

 

Gymnasium Kirschgarten, Basel
Lehrerin: Petra Stadler