Geschichte | Geographie | Wirtschaft | Gesellschaft
Janus Marchiondi, 2005 | Küttigen, AG
Die Arbeit untersucht auf einer Mikroebene die Geschichte und die damit verbundenen Entwicklungen eines zum Zeitpunkt dieser Arbeit 420-jährigen Appenzeller Bauernhauses. Einerseits werden dabei die baulichen Merkmale und deren Wandel im Lauf der Zeit analysiert. Andererseits wird die Besitzabfolge des Hauses rekonstruiert und versucht, möglichst viel über die Bewohner*innen des Hauses in Erfahrung zu bringen. Dazu wird mit zwei unterschiedlichen Methoden gearbeitet: Während die Analyse der Baumerkmale des Hauses mittels Referenzliteratur erfolgt, wird im zweiten Teil zu den Bewohner*innen mit Archivrecherchen gearbeitet. Diese Unterteilung wird auch in der schriftlichen Arbeit sichtbar; die Erkenntnisse aus den beiden Teilen greifen aber ineinander. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Das Haus ist in vielerlei Hinsicht ein typisches Produkt seiner Zeit und entspricht weitestgehend den gängigen Typologien, auch wenn diese nicht einheitlich definierbar sind. Die Rekonstruktion der Besitzabfolge gelang zurück bis ins Jahr 1797, die Besitzer*innen scheinen soweit feststellbar zeittypisch zu sein.
Fragestellung
Die Arbeit analysiert die Veränderungen, welche ein Bauernhaus mit Baujahr 1605 seit seinem Bau erfahren hat. Konkret wird die Geschichte des Hauses anhand von fünf Teilfragen untersucht: Welche Quellen stehen für die Recherche zur Verfügung und welche Informationen lassen sich aus diesen extrahieren? Wer waren die Bewohner*innen des Bauernhauses und wie lassen sich die Besitz- und Wohnverhältnisse rekonstruieren? Was sind Besonderheiten der Bewohner*innen des Hauses? Welche baulichen Merkmale weist das Haus auf und wie haben sich diese im Lauf der Zeit verändert? Wie können die baulichen Merkmale in einem siedlungsgeografischen und baugeschichtlichen Rahmen einordnet werden?
Methodik
Die Arbeit basiert auf zwei verschiedenen Methoden: Archivrecherchen, um die Fragen zu den Bewohner*innen zu beantworten, sowie Vergleiche von Baumerkmalen mit Referenzliteratur für die Fragen zu baulichen Veränderungen. Dabei orientiert sich das Vorgehen bei der Rekonstruktion der Besitzabfolge an jenem von Olivia Hochstrasser in ihrer Untersuchung: «Ein Haus und seine Menschen 1549-1989». Die bei der Archivrecherche analysierten Quellen stammen aus dem späten 18. bis mittleren 20. Jahrhundert; es handelt sich bei ihnen mehrheitlich um Assekuranz- und Liegenschaftskataster sowie Volkszählungen.
Ergebnisse
Die Arbeit gewährt einen Einblick in die Geschichte des Hauses. Es gelang, die Besitzabfolge mittels Primärquellen bis ins Jahr 1796 zu rekonstruieren und Daten zu Wertveränderungen des Hauses zu sammeln: In 250 Jahren erfuhr die Versicherungssumme der Liegenschaft demnach eine Wertsteigerung um das 1’128-fache. Selbst in Bezug zur Lohnentwicklung in derselben Zeit hat sich der Wert immer noch verzehnfacht. Die Analyse der Bausubstanz ergab, dass das Haus in vielerlei Hinsicht den für Appenzellerhäusern gängigen Typologien entspricht; so bezüglich der Fassadengestaltung, der Raumaufteilung, des Strickbaus, der Türstürze, des Dachaufbaus sowie der Böden und der Fensterplatzierungen. Aussergewöhnlich sind die Stärke der Strickbalken, die Platzierung des Eingangs sowie die östliche Wand im Erdgeschoss.
Diskussion
Die erste Teilfrage konnte vollumfänglich beantwortet werden: Die Arbeit zeigt auf, welche Quellen zur Rekonstruktion der Besitzabfolge zur Verfügung stehen. Die zweite Teilfrage bleibt unvollständig beantwortet: Während die Namen der Besitzer*innen seit 1796 bekannt sind, liess sich nur wenig zu deren Lebensumständen in Erfahrung bringen. Bei der Recherche fanden sich zwar einzelne Anekdoten, diese konnten aber nicht wie beabsichtigt verwendet werden. Veränderungen der Bausubstanz im Laufe der Zeit sind in vielen Fällen sehr wahrscheinlich, lassen sich aber mit der angewandten Methode nicht belegen. Interessant sind dabei die Unterschiede zwischen den in der Sekundärliteratur definierten Typologien, welche je nach Fokus der Autor*innen stark divergieren.
Schlussfolgerungen
Da es sich um die Untersuchung eines Einzelobjekts handelt, lassen sich keine verallgemeinernden Schlüsse ziehen. Die Arbeit zeigt vielmehr Möglichkeiten auf, mit welchen zu einem historischen Bauernhaus gearbeitet werden kann. Sie legt die Methoden dar, mit welchen ein solches Haus untersucht werden kann und wie sich die gewonnen Ergebnisse verwenden und kontextualisieren lassen. Die Untersuchung ist dabei keineswegs abschliessend: Denkbar wären eine historische Erweiterung mit weiteren Quellen sowie bau-, wirtschaftsgeschichtliche und architektonische Ausweitungen.
Würdigung durch den Experten
Ueli Vogt
Janus Marchiondi nutzte den Familienbesitz eines alten Appenzeller Hauses in Gais für seine Forschungen. Mit Hilfe verschiedener Referenzliteratur näherte er sich den architektonischen Besonderheiten und stellte fest, dass das Haus ein typisches Produkt seiner Zeit zu sein scheint. Bei der Erforschung der Besitzer:innen machte er akribische Recherchen in Archiven und fand Angaben zur Preisentwicklung der Liegenschaft. Diese setzte er in einen Kontext und kam so zu überraschenden Erkenntnissen. Er zeigte auf, wo und wie diese Arbeit als Grundlage für weitere Forschungen dienen kann.
Prädikat:
gut
Neue Kantonsschule Aarau
Lehrerin: Dr. Laura Fasol