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Daniela Wildi, 2000 | Zufikon, AG
Im Rahmen meiner Maturaarbeit habe ich einen Dokumentarfilm über die Thematik der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen in der Schweiz im 20. Jahrhundert produziert. Die Maturaarbeit befasst sich mit der Frage, wie meine Idee filmisch zu einem gestalterisch anspruchsvollen, authentischen und geschichtlich fundierten Dokumentarfilm umgesetzt werden kann, der das Thema in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt, das Publikum berührt und zum Nachdenken anregt. Ziel ist es, subjektiven Erinnerungen der von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen Betroffenen Gehör zu schenken und so einen Beitrag zur Sozialgeschichte der Schweiz zu leisten. Die Maturaarbeit beruht auf der geschichtswissenschaftlichen Methode der Oral History. Ich habe insgesamt vier Interviews mit Betroffenen geführt. Diese Interviews wurden sowohl auf einem Tonträger als auch filmisch festgehalten. Aufgrund komplexer Erinnerungsprozesse muss das Erzählte nicht immer das Erlebte widerspiegeln. Nichtsdestoweniger ermöglicht die Oral History einen Einblick in die Lebenswelt der ehemaligen administrativ Versorgten und Fremdplatzierten, der ohne diese Art von Quelle nicht möglich wäre.
Fragestellung
Die Maturaarbeit befasst sich mit der Frage, wie ich meine Idee filmisch umsetze, um einen gestalterisch anspruchsvollen, authentischen und geschichtlich fundierten Dokumentarfilm zu produzieren, der das Thema in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt, das Publikum berührt und zum Nachdenken anregt.
Methodik
Die Maturaarbeit stützt sich auf die geschichtswissenschaftliche Methode der Oral History. Es werden mündliche Interviews mit von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen Betroffenen geführt und sowohl auf einem Tonträger als auch filmisch festgehalten, um auf diese Weise Informationen über mündliche Überlieferungen und Erinnerungen zu sammeln und schliesslich im Dokumentarfilm aufzuzeigen. Der Fokus wird auf die Geschichte vier Betroffener gelegt.
Ergebnisse
Entstanden ist ein berührendes Zeitdokument in Form eines 25-minütigen Dokumentarfilms, der die Geschichte von vier Betroffenen vor, während und nach der Fremdplatzierung erzählt.
Diskussion
Dieser Dokumentarfilm stellt kein exaktes Abbild der objektiven Realität dar, sondern ist ein Angebot an den Zuschauer, die Zuschauerin, sich mit der filmischen Darstellung auseinanderzusetzen. Dem Zuschauer, der Zuschauerin muss bewusst sein, dass auch dieser Dokumentarfilm nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit darstellt, da er einen subjektiven Standpunkt widerspiegelt, der von mir als Regisseurin geschaffen wurde. Ich entschied mich eben nicht nur für das, was gezeigt wird, sondern auch für das, was weggelassen wird. Die filmhandwerkliche Kunst lag darin, durch die Verbindung der einzelnen Stimmen eine erzählerische Entwicklung zu erzeugen und auf eine additive Erzählweise zu verzichten, was eine ermüdende und wenig interessante Geschichte zur Folge gehabt hätte. Die Eignung zum Dokumentarfilm ergab sich aus den starken und berührenden Lebensgeschichten der Protagonisten. Eine geschichtliche Fundierung hätte eine multiperspektivische Herangehensweise verlangt, auf die verzichtet wurde. Die filmische Interpretation ist folglich kritisierbar, denn die interviewten Personen berichten von ihrer Lebensgeschichte ausschliesslich aus der subjektiven Erinnerung. Aufgrund komplexer Erinnerungsprozesse muss das Erzählte nicht immer das Erlebte widerspiegeln. Nichtsdestoweniger ermöglicht die Oral History durch Zeitzeugenbefragungen einen Einblick in die Lebenswelt der ehemaligen administrativ Versorgten und Fremdplatzierten, der ohne diese Art der Quelle nicht möglich wäre.
Schlussfolgerungen
Das Kapitel der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen stellt nicht nur ein düsteres, sondern auch ein noch nicht abgeschlossenes Kapitel der Schweizer Sozialgeschichte dar. Insofern ist zu hoffen, dass mein Dokumentarfilm «J’étais un enfant qu’on ne voyait pas» dem Zuschauer, der Zuschauerin das Vergangene näherbringt. Es gilt dabei nicht, wertend auf die Vergangenheit zu schauen. Ein Grossteil der damaligen Schweizer Bevölkerung dürfte die Zustände unreflektiert als «richtig» empfunden oder zumindest keinerlei dringlichen Anlass gesehen haben, etwas dagegen zu unternehmen. Es dauerte noch lange Jahrzehnte, bis in breiten Kreisen ein Bewusstseinswandel stattfand. Das Zielpublikum soll aufgeklärt werden, sich mit der Thematik auseinandersetzen, sich darüber Gedanken machen und sich allenfalls die Frage stellen, ob denn unsere heute gültigen Normen und Werte in jedem Fall die «korrekten» sind.
Würdigung durch den Experten
Dr. Thomas Buomberger
Die Arbeit von Daniela Wildi stellt in einem Dokumentarfilm das lange tabuisierte Thema der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen anhand von vier Betroffenen dar. Die Autorin schafft es, einen Gesprächsraum zu gestalten, in dem die drei Protagonisten und die Protagonistin auf sehr berührende Art ihre Erfahrungen schildern können. Die theoretischen Überlegungen zur Gestaltung des Films, die Organisation des Materials, die Methodik der Oral History, der Musikeinsatz und die Umsetzung zeugen von grosser Professionalität. Der Autorin gelingt es, Emotionalität mit sachlicher Information zu verknüpfen.
Prädikat:
hervorragend
Sonderpreis EDA – Einblick in den diplomatischen Dienst
Kantonsschule Wohlen
Lehrer: Martin Steiner