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Alva Steiner, 2004 | Aarau, AG

 

In dieser Arbeit werden mittels einer Quellenrecherche die Geschichte und das Wissen über die Klitoris zwischen 1844 und 1989 rekonstruiert. Es wird je ein gynäkologisches Lehrbuch von 1844, 1924, 1953 und 1989 analysiert. Dabei werden die Abbildungen und Beschreibungen der Klitoris sowie die jeweiligen Kapitel oder Abschnitte über die weibliche Sexualität untersucht und verglichen. Der historische Kontext und insbesondere der Umgang mit der weiblichen Sexualität in der Schweiz wird in die Analyse mit einbezogen. Auffällig ist, dass die Präzision der Abbildungen der Klitoris und deren Beschreibung bis zum Lehrbuch von 1989 stetig abnimmt, während die weibliche Sexualität immer mehr Beachtung findet und sich der Spielraum der weiblichen Sexualität erheblich erweitert.

Fragestellung

Diese Arbeit versucht zu ermitteln, ob ein Zusammenhang zwischen den Abbildungen der Klitoris und den jeweiligen normativen Vorstellungen weiblicher Sexualität besteht. Um diese Fragestellung bearbeiten zu können, wurde diese in drei Bereiche aufgeteilt. Fragen an die Quelle: (I) Wie wird die Klitoris in den ausgesuchten Anatomiebüchern abgebildet und wie wird sie im Zusammenhang mit den äusseren Geschlechtsteilen beschrieben? (II) Welche Namen werden in der Beschreibung der äusseren Geschlechtsteile benutzt? (III) Wie wird die Funktion der Klitoris beschrieben? (IV) Welche Vorstellungen weiblicher Sexualität werden beschrieben? Fragen zum historischen Kontext: (I) Was sind die dominanten Vorstellungen weiblicher Sexualität im jeweiligen Zeitraum? Fragen, die der Diskussion dienen, um ein Fazit zu bilden: (I) Wie veränderte sich die Darstellung der Klitoris in den vier Anatomiebüchern und was sind die möglichen Hintergründe davon? (II) Korreliert die Darstellung der Klitoris mit der normativen Vorstellung von weiblicher Sexualität im jeweiligen Zeitraum und wenn ja, wie?

Methodik

Für das Schreiben dieser Arbeit wurde die Methodik der Quellenanalyse verwendet. Die Quellen werden entsprechend der Fragestellung beschrieben und analysiert. Diese werden dann in Bezug gesetzt zu den jeweiligen Vorstellungen weiblicher Sexualität.

Ergebnisse

Als Ergebnis zeigt sich, dass die Klitoris im Jahr 1844 am ausführlichsten beschrieben und dargestellt wurde. In den nachfolgenden Lehrbüchern wurden die Darstellungen weniger detailliert und die Beschreibungen der Funktion der Klitoris immer kürzer und ungenauer. Im Gynäkologischen Lehrbuch von 1989 war die Klitoris gar nicht mehr abgebildet und ihre Funktion gemäss dem heutigen Wissensstand falsch beschrieben. Im Gegensatz dazu liberalisierten sich die Vorstellungen weiblicher Sexualität. Wurde den Frauen im 19. Jahrhundert ein Geschlechtstrieb abgesprochen, ermöglichten vor allem die Entwicklungen ab Ende der 1960er Jahren den Frauen eine von ihnen frei gewählte Sexualität zu leben.

Diskussion

Die Arbeit zeigt einen Widerspruch auf und es stellt sich die Frage, warum das so ist? Es wussten wahrscheinlich alle Fachpersonen der Gynäkologie über die Klitoris Bescheid, wenn auch nicht im Detail, weil jeder von ihnen schon mal eine Operation oder eine Sektion am weiblichen Geschlechtsorgan gesehen hat. Hier können nur Thesen aufgestellt werden, warum die Klitoris trotzdem nicht korrekt abgebildet und in ihrer Funktion erklärt wurde. Eine These dafür ist, dass die männlich dominierte Gynäkologie Angst vor der fortwährenden Emanzipation der Frauen hatte, und sie deshalb die weibliche Sexualität übergingen, indem sie der Klitoris keine Bedeutung zukommen liess. Eine andere ist, dass die ärztlichen Autoren aus ihrer männlichen Sicht die weibliche Lust, also die Klitoris, für medizinisch Zwecke für zu wenig relevant hielten. Die dritte These beschreibt, dass die Mediziner die jeweiligen patriarchalen Normen so verinnerlicht hatten, dass sich diese in den Beschreibungen der Funktion der Klitoris und in deren Abbildungen unreflektiert wiederfand.

Schlussfolgerungen

Die Feststellungen und Erkenntnisse in dieser Arbeit sind interessant und spannend. Um die hier aufgetauchten Fragen beantworten und Hypothesen bestätigen zu können, braucht es weitere Untersuchungen mit mehr Quellen und umfassendere Sekundärliteratur. Zudem zeigt diese Arbeit, dass es sich lohnt, Antworten auch in der Vergangenheit zu suchen. Bereits in Büchern im 19. Jahrhundert wurde der anatomische Aufbau und die Funktionalität der Klitoris sehr viel genauer beschrieben als in manchen heute immer noch empfohlenen anatomischen Lehrbüchern.

 

 

Würdigung durch die Expertin

Dr. Brigitte Ruckstuhl

Wie haben sich die Abbildungen der Klitoris verändert und in welchem Zusammenhang stehen sie mit den jeweiligen Vorstellungen zu weiblicher Sexualität? Diese innovative, gleichzeitig anspruchsvolle Fragestellung ist die Autorin mit der Analyse von Klitoris-Darstellungen in medizinischen Lehrbüchern zwischen 1844 und 1989 angegangen und hat diese den gesellschaftlichen Vorstellungen zu weiblicher Sexualität gegenübergestellt. Die Arbeit zeigt nicht nur die sich wandelnden Abbildungen, sondern auch, dass diese nicht immer mit den jeweiligen Vorstellungen weiblicher Sexualität übereinstimmen.

Prädikat:

gut

 

 

 

Alte Kantonsschule Aarau
Lehrer: Lukas Fellmann