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Aline von Hoff, 2003 | Niederrohrdorf, AG
Das Wallis ist schweizweit die Region, wo die Erde am häufigsten bebt. Die grösste Zerstörungskraft bei einem Erdbeben geht aber nicht wie häufig angenommen von den Erschütterungen, sondern viel mehr von Folgeprozessen aus. Ein solcher ist der Bergsturz am Rawilhorn infolge der Jahrhundert-Erdbeben bei Sierre von 1946. Dabei sind ungefähr 4 – 5 Millionen Kubikmeter Gesteinsmaterial bewegt worden. Erforscht wird in dieser Arbeit die Entwicklung der Sukzession (natürliche Rückkehr von Flora und Fauna) im Ablagerungsgebiet des Bergsturzes. Die Resultate zeigen auf, dass die Vegetation auch nach 75 Jahren im Vergleich zu anderen Ablagerungsgebieten von Sturzprozessen stark dezimiert ist und eine Wiederbesiedlung nur vereinzelt eingesetzt hat.
Fragestellung
Das Ziel dieser Arbeit besteht darin herauszufinden, wie sich der Bergsturz am Rawilhorn auf die Landschaft und Vegetationsentwicklung ausgewirkt hat. (I) Wie weit ist die Sukzession im Ablagerungsgebiet des Bergsturzes, der durch das Erdbeben vom 25. Januar 1946 und das Nachbeben vom 30. Mai 1946 an der Südflanke des Rawilhorns ausgelöst worden ist, fortgeschritten? (II) Wie liegen die markantesten Felsblöcke im Ablagerungsgebiet des Bergsturzes nach den Erdbeben verteilt?
Methodik
Für die Beantwortung der Fragestellungen wurde mit diversen Methoden gearbeitet. Nach der Eingrenzung des Untersuchungsgebiets erfolgte eine Literaturrecherche. Gleichzeitig wurde eine Fernbeurteilung der Sukzession im Ablagerungsgebiet mittels Analyse und Vergleich von historischen sowie aktuellen Landeskarten und Luftbildern von Swisstopo durchgeführt. Der Untersuchungsperimeter wurde für die Feldarbeit in sieben Zonen A – G mit jeweils drei Unterzonen eingeteilt. Für jede Zone wurde das vorgängig selbst erstellte Aufnahmeprotokoll ausgefüllt. Die beobachteten Pflanzen, insbesondere die Zeigerpflanzen der verschiedenen Sukzessionsstadien, wurden fotografiert, grob mit der App PlantNet und schliesslich mit der Flora Helvetica genau bestimmt. Zusätzlich konnte im Feld das Alter der grössten Europäischen Lärchen (Lárix decídua) durch jeweils zwei Messungen des Stammumfangs auf 1 m und 1.5 m Höhe geschätzt werden. Die Kubaturen und Standorte der markantesten Felsblöcke im Ablagerungsgebiet wurden mit Hilfe von Massbändern und GPS-Tracking erfasst.
Ergebnisse
Die Vegetationsentwicklung im Untersuchungsperimeter ist auf engstem Raum sehr verschieden, wobei die Sukzession auch 75 Jahre nach dem Bergsturz mehrheitlich in der Anfangsphase steckt. Die grössten Felsblöcke befinden sich in der Mitte des Ablagerungsgebiets, während mittlere und kleine Felsblöcke am Ablagerungsrand liegen. Die Sukzessionsgeschwindigkeit nimmt sowohl mit zunehmender Höhe wie auch mit wachsender Entfernung zum Rand des Bergsturzablagerungsgebiets tendenziell ab. Am weitesten fortgeschritten ist die Sukzession in Bereichen mit hoher Oberflächenrauigkeit bedingt durch das Vorkommen von feinkörnigem Blockschutt.
Diskussion
Verglichen mit früheren Studien (1983) ist die biogeomorphologische Sukzession im Untersuchungsgebiet im Jahr 2021 deutlich weiter fortgeschritten. Im Gegensatz zu Vegetationsentwicklungen in anderen Ablagerungsgebieten grosser Sturzprozesse (Randa VS, Ereignis 1991; Goldau SZ, Ereignis 1806) ist die Sukzessionsgeschwindigkeit im betrachteten Untersuchungsperimeter wesentlich tiefer. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass sich die drei Standorte hinsichtlich Höhenlage, Klima, Feuchtigkeitsverhältnissen, Bodenbeschaffenheit und menschlichen Einflüssen klar voneinander unterscheiden. Die Höhenabhängigkeit der Sukzessionsgeschwindigkeit sowie der Einfluss der Blockgrössen auf die Vegetationsentwicklung lässt sich trotz unterschiedlicher physiogeografischer Charakteristika in jedem der drei Ablagerungsgebiete beobachten.
Schlussfolgerungen
In dieser Arbeit konnte eine punktuelle Bestandesaufnahme der Vegetationsentwicklung im unwegsamen Bergsturzablagerungsgebiet vorgenommen und die Grösse und Verteilung der markantesten Blöcke eruiert werden. Um genauere Ergebnisse zu erhalten, könnte die Feldarbeit flächenmässig ausgeweitet werden. Dendrochronologie (Jahrringzählung) zur Altersbestimmung der Europäischen Lärchen sowie eine Vegetationsbestimmung auf eng abgesteckten Flächen im Ablagerungsgebiet wären weitere Optionen. Eine vertieftere Analyse zu den Einflussfaktoren hinsichtlich der Vegetationsentwicklung, insbesondere (mikro-)klimatische Messungen, könnte weitere Erkenntnisse liefern. Systematische Drohnenaufnahmen vom gesamten Gebiet verbunden mit digitaler Bildauswertung wären zudem eine effiziente Möglichkeit, um die Sukzession langfristig umfassend zu verfolgen.
Würdigung durch den Experten
Dr. Mauro Fischer
Aline von Hoff’s Arbeit zur Entwicklung der Sukzession im Ablagerungsgebiet des Bergsturzes von 1946 am Rawilhorn verdient Anerkennung und Respekt. Mit sehr grossem persönlichem Engagement und lobenswertem Aufwand ist es ihr gelungen, eine spannende, gut strukturierte und fachlich sehr ansprechende Arbeit zu verfassen. Die Arbeit beantwortet die eingangs gestellten Forschungsfragen präzis, diskutiert die erhaltenen Resultate kritisch, und zeigt mögliche Lücken für weiterführende Arbeiten im untersuchten Bereich auf. Eine anerkennenswerte Arbeit einer jungen Nachwuchsforscherin.
Prädikat:
hervorragend
Sonderpreis der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL)
Kantonsschule Wettingen
Lehrer: Oliver Schneider