Physik | Technik
Jonathan Nachtrab, 2007 | Melchtal, OW
In dieser Arbeit wird ein autonomes Balanciersystem entwickelt, konstruiert und gefertigt, das einen Tischtennisball auf einer kippbaren Platte stabilisiert und zur Mitte bewegt. Eine Kamera erfasst die Position des Balls in Echtzeit, während drei Servomotoren die Neigung der Platte steuern. Zwei Raspberry Pis übernehmen die Bildverarbeitung, Berechnungen und Motorsteuerung. Zur Regelung werden verschiedene Methoden der Signalverarbeitung untersucht: der Kalman-Filter, der Savitzky-Golay-Filter und die Forward-Euler-Methode. Ziel ist es, die beste Methode für die Geschwindigkeitsbestimmung zu identifizieren und deren Einfluss auf die Regelgüte des Systems zu bewerten.
Fragestellung
Welche Methode zur Geschwindigkeitsbestimmung eignet sich am besten für ein autonomes Balanciersystem mit Visual-Based Tracking? Diese Frage ist zentral, da eine präzise Geschwindigkeitsschätzung essenziell für die Regelung des Systems ist. Die drei untersuchten Methoden – Kalman-Filter, Savitzky-Golay-Filter und Forward-Euler-Methode – werden hinsichtlich ihrer Genauigkeit, Reaktionszeit und Robustheit gegenüber Störungen systematisch analysiert und verglichen.
Methodik
Zu Beginn der Arbeit wurde ein Balanciersystem als Grundlage für die Beantwortung der Forschungsfrage sowie für alle Messungen entwickelt. Dieses wurde zunächst in CAD entworfen und anschliessend mittels 3D-Druck gefertigt. Zudem wurde die erforderliche Technik entwickelt und programmiert. Zur Vergleichung der Methoden wurden 150 Sprungantworten und 150 Störungssimulationen durchgeführt und statistisch ausgewertet. Eine Sprungantwort bewertet, wie sich der Ball von Punkt A nach Punkt B bewegt. Sie stellt somit eine wichtige Kennlinie eines Regelungssystems dar. Die Störungssimulation simuliert das unerwartete Wegstossen des Balls aus der Ruhestellung und die darauffolgende Reaktion des Systems. Die Störungssimulation ist standardisiert, da die Geschwindigkeit der Auslenkung konstant gehalten wird. Bei beiden Versuchen wurden als Metriken die Zeit bis zum Erreichen von 90 % der Zielstrecke (Rise Time), die Zeit, bis sich der Ball nicht mehr als 5 % der Distanz bewegt (Settling Time), sowie die Distanz, die der Ball über das Ziel hinausschiesst (Overshoot), erfasst. Zusätzlich wurde die Standardabweichung der Winkelposition des Balls sowie die Varianz der letzten 60 Positionen des Balls erfasst, um die Präzision und Stabilität des Systems im Betrieb zu bewerten.
Ergebnisse
Der Kalman-Filter erzielt in den meisten getesteten Metriken die besten Ergebnisse. Mit einer Settling Time von 1,76 s und einem Steady-State-Offset von 0,52 cm zeigt er eine vergleichsweise schnelle Stabilisierung und geringe Abweichungen. Der Savitzky-Golay-Filter weist eine längere Settling Time von 2,06 s auf, jedoch einen geringeren Overshoot von -1,37 %, was auf eine stabilere Leistung hindeutet. Die Forward-Euler-Methode zeigt eine ähnliche Rise Time von 1,20 s, hat jedoch einen deutlich höheren Overshoot (27,86 %) und eine grössere Standardabweichung der letzten 60 Positionen (0,89 cm), was zu weniger stabilen Reaktionen führt. Bei der Analyse der Standardabweichung der Winkelpositionen weist der Kalman-Filter mit 0,54° und der Savitzky-Golay-Filter mit 0,58° geringere Schwankungen auf als die Forward-Euler-Methode (1,08°). Insgesamt zeigt der Kalman-Filter die beste Leistung in Bezug auf Stabilität und Präzision.
Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, dass eine effektive Signalverarbeitung entscheidend für die Stabilität des Systems ist. Während der Kalman-Filter besonders robust gegen Störungen ist, könnten seine Parameter weiter optimiert werden, um noch schneller auf plötzliche Bewegungen des Balls zu reagieren. Eine genauere Modellierung des Systems oder der Einsatz hybrider Filtermethoden könnten mögliche Ansätze für eine weitere Verbesserung darstellen. Der Savitzky-Golay-Filter zeigt eine hohe Glättungseffizienz, ist jedoch in zeitkritischen Anwendungen weniger geeignet. Die Forward-Euler-Methode bietet eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit, führt aber zu unkontrollierbaren Bewegungen der Platte.
Schlussfolgerungen
Der Kalman-Filter stellt sich als die beste Methode für dieses System heraus, da er eine hohe Genauigkeit mit schneller Reaktionszeit kombiniert. Die Untersuchung bestätigt, dass die Wahl der Signalverarbeitungstechnik einen erheblichen Einfluss auf die Performance eines Regelungssystems hat. Für zukünftige Arbeiten könnte untersucht werden, wie hybride Filtermodelle oder neuronale Netzwerke die Signalverarbeitung weiter verbessern könnten.
Würdigung durch den Experten
Prof. Dr. Norman Urs Baier
In seiner Arbeit «Datenverarbeitung in autonomen Balanciersystemen: Analyse und Vergleich verschiedener Ableitungsmethoden für Visual-Based Tracking» hat sich Jonathan Nachtrab mit der Eignung von Algorithmen für die Ortung von Gegenständen befasst. Dazu hat er einen Versuchsaufbau konstruiert und die Algorithmen auf einem Raspberry Pi implementiert. Mit einer überzeugenden Methodik konnte er die zur Verfügung stehenden Algorithmen bewerten und seine Forschungsfrage klären.
Prädikat:
sehr gut
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Kantonsschule Obwalden, Sarnen
Lehrer: Samuel Gamper