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Nina Gauck, 2006 | Binningen, BL

 

Wie kann eine Gesellschaft funktionieren, die alle einschliesst, der Umwelt so wenig wie möglich schadet und in der die Individuen frei sein können? Das Buch bolo’bolo macht einen Vorschlag, den ich in meiner Arbeit interdisziplinär untersuche: Einerseits setze ich bolo’bolo auch mithilfe von Primärquellen in seinen historischen Kontext und beschäftige mich mit dem Autor, der 80er-Protestbewegung in Zürich und den Wohngenossenschaften, die zu dieser Zeit in Zürich entstanden. Andererseits untersuche ich den Inhalt des Buches sowie den Utopiebegriff und dessen Geschichte, insbesondere in Bezug auf die «Utopia» von Thomas Morus.
bolo’bolo als geschichtliche Quelle verweist direkt auf die 80er-Bewegung, weshalb ich die Utopie als ironische Selbstreflexion derer auffasse. Besonders wegen dieser engen Verbindung zwischen der Bewegung und bolo’bolo verstehe ich die Wohngenossenschaften, die oft mit der Utopie in Verbindung gebracht werden, nicht als Umsetzungsformen des Buchs. Bezüglich des Utopiebegriffs fand ich heraus, dass bolo’bolo trotz der Ironie und obwohl bolo’bolo weniger als Ideologie, denn als «Vorschlag» geschrieben wurde, als Utopie bezeichnet werden kann.

Fragestellung

Welche politische Utopie steht hinter bolo’bolo, welche Bezüge bestehen zur 1980er-Bewegung in Zürich und wie nahe kamen Umsetzungsformen der Utopie?

Methodik

Ich habe in der historischen Analyse vor allem mit Sekundärquellen gearbeitet (v.a. «Wo-Wo-Wonige!» von Thomas Stahel), die ich mit Primärquellen aus Online-Archiven wie dem NZZ-Archiv und dem Schweizerischen Sozialarchiv sowie dem Film «Züri brännt» angereichert habe. Für die Recherche zur Utopie verwendete ich vor allem Thomas Morus’ Buch «Utopia».

Ergebnisse

Mithilfe der Kriterien Richard Saages und Thomas Morus’ «Utopia» konnte ich beweisen, dass es sich bei bolo’bolo um eine Utopie handelt: Obwohl der Autor Überzeichnung und Ironie als Stilmittel einsetzt, scheint er von der Grundidee in bolo’bolo überzeugt. Die «Utopia» weist dieselbe Struktur auf (ein kritisierender Teil, dann ein die Utopie beschreibender Teil). Beide Autoren nutzen Utopie und Ironie, um eine gewisse Distanz zu wahren. Auch zur 1980er-Bewegung konnte ich viele Ähnlichkeiten feststellen: Widmer selbst gab an, die Utopie für die «Bewegig» geschrieben zu haben. Die Ablehnung der Staatsgewalt, der Wunsch nach mehr Unabhängigkeit und die Kritik an den Medien sowie die ironischen Beschreibungen und die Kreativität im Ausdruck haben mich dazu gebracht, bolo’bolo selbst als eine ironische Ausdrucksform der Protestbewegung zu verstehen. Ich schloss ausserdem, dass die Wohngenossenschaften, die gegen Ende der «Bewegig» entstanden, nicht als «Umsetzungsform» von bolo’bolo bezeichnet werden können: Der Autor Hans Widmer war selbst an deren Aufbau beteiligt und hatte vermutlich einen grösseren Einfluss als sein Buch. Wichtige Forderungen in bolo’bolo, wie die Globalisierung des Systems, wurden von den Wohngenossenschaften nicht angestrebt.

Diskussion

Mit der interdisziplinären Herangehensweise kann ich der Komplexität des Buchs gerecht werden. Ich kann die Ähnlichkeiten zwischen bolo’bolo und der «Bewegig» klar nachweisen. Die Frage nach der Utopie hinter bolo’bolo kann ich aber nur begrenzt beantworten, da eine umfassende Analyse, insbesondere in Bezug auf den Utopiediskurs und die umweltwissenschaftlichen Elemente in bolo’bolo (z.B. eine Auseinandersetzung mit «Ökotopia») aufgrund des Umfangs der Arbeit nicht möglich ist. Nichtsdestotrotz kann ich bolo’bolo mit den Kriterien Saages und dem Vergleich zu Thomas Morus‘ «Utopia» klar als Utopie identifizieren.

Schlussfolgerungen

bolo’bolo kann als Selbstreflexion der «Bewegig» angesehen werden und stellt gleichzeitig eine neue politische Utopie dar. Die Beschäftigung mit diesen beiden Aspekten ermöglicht eine neue Perspektive auf die 80er-Bewegung und ihre Ideologien sowie auf den Utopiediskurs. Um die Zusammenhänge noch besser zu beleuchten, wären Interviews mit dem Autor Hans Widmer sowie verschiedenen Beteiligten der Wohngenossenschaften oder der «Bewegig» wünschenswert.

 

 

Würdigung durch den Experten

Franz Horváth

Nina Gauck untersucht P.M.’s bzw. Hans Widmers 1980er-Bewegungsutopie bolo’bolo und vermittelt wichtige historische Zusammenhänge. Sie stellt Widmers Buch Thomas Morus› Utopia gegenüber und arbeitet sorgfältig Parallelen heraus. Sie zeigt, dass Widmers Utopie eine ähnliche Welt wie der Klassiker entwirft, und geht darauf ein, wie beide Utopien Witz und Ironie als Mittel der Gesellschaftskritik einsetzen. Zuletzt prüft Gauck, inwiefern bolo’bolo als Vorbild für neue Genossenschaftsprojekte angesehen werden kann. Gauck bleibt quellennah und reflektiert das Entstehen ihrer Arbeit eindrücklich.

Prädikat:

hervorragend

Sonderpreis «Luxembourg International Science Expo (LISE)» gestiftet von der Fondation Jeunes Scientifiques Luxembourg & der Gamil Stiftung

 

 

 

Gymnasium Oberwil
Lehrer: Dr. Markus Daniel Zürcher